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Festansprache Seite 3

Ein Gespräch, das ich heute Morgen mit dem Serbischen Ministerpräsidenten Haris Silajdzic halten konnte, hat mich sehr beeindruckt. Der Mann spricht hervorragend deutsch, hat in Deutschland studiert und bei Habermas und in Konstanz promoviert. Mit dem Ministerpräsidenten, dessen Biografie Ausdruck von großem Mut und großer Einsatzbereitschaft für sein Land ist, bin ich der Meinung, dass gerade die ärmeren Länder in Europa in besonderer Weise darauf angewiesen sind besser zu sein als die Wohlhabenderen, und zwar was das Wissen und Können ihrer Bevölkerung angeht. Denn wir werden in den nächsten Jahren in verstärktem Maße die Erfahrung machen, die wir auch in den vergangenen Jahren schon gemacht haben, dass die Arbeit nicht dem Kapital folgt, sondern das Kapital dem Wissen. Investiert wird dort, wo eine hervorragend ausgebildete Bevölkerung ist. Investiert wird dort, wo der Investor weiß, dass er auf gute Fachkräfte, auf gute Ingenieure und auf ein gutes wissenschaftliches Umfeld trifft. Das war bei allen wesentlichen Investitionen in Sachsen bisher so und es wird auch in Zukunft so bleiben. Wir haben also ein großes Interesse daran den Bereich der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur zu entwickeln.

Wir haben weiter in der Entwicklung in unserem Land festgestellt, dass Dezentralisation ein wichtiger Weg ist, um möglichst viel Innovation und Initiative freizusetzen. Es ist kein Prinzip an sich, man kann sich darüber streiten, ob das nun die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips ist oder was auch immer. Ich sehe das sehr viel pragmatischer. Wenn an einer Problemlösung viele Einheiten im Wettbewerb miteinander mitwirken, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man eine langfristig tragfähige Antwort findet, sehr viel größer, als wenn nur einer entscheidet oder nur ganz wenige. Gleichzeitig ist das Fehlerrisiko geringer, denn wenn unterschiedliche Entscheidungen zunächst einmal getroffen werden, dann sind sie ja nicht alle falsch, sondern die einen sind richtiger als die anderen. Das kann mit Schulbau zusammenhängen, mit Straßenbau, mit Kindergartenpolitik oder mit Beschäftigungspolitik. Mit vielen Dingen schält sich ein Grundtrend der Lösungsvorschläge heraus, die sich am besten bewährt haben und die man dann nach einem solchen Prozess mehr oder weniger übernimmt. Und zwar nicht wiederum per Ordre de Mufti, sondern weil man auch im Dialog miteinander sieht, dass das ein guter Weg ist. Voraussetzung dafür sind zwei Dinge. Erstens, dass die Entscheidungseinheiten auch wirklich entscheiden können und zweitens, dass sie auch miteinander kommunizieren, das heißt, dass sie auch bereit oder in der Lage sind, voreinander zu lernen. Es gibt allerdings noch einen dritten Punkt, der in der Dezentralisationsdebatte meistens zu kurz kommt. Wer dezentralisieren und die Autonomie vor Ort stärken will, der muss bereit sein, auch größere Unterschiede hinzunehmen. Denn es macht natürlich keinen Sinn einen solchen Wettbewerb zu veranstalten und dann denjenigen, die nicht so gut mitkommen, anschließend einen Ausgleich zu geben, weil sie nicht so gut mitgekommen sind. Die Folge ist, dass die Motivation besser zu sein als die anderen zumindest nachhaltig beeinträchtigt wird. Deshalb muss man bereit sein, eine gewisse Unterschiedlichkeit in dem Ergebnis zu akzeptieren, die ja ohnehin besteht. Jeder von uns weiß das, nur diejenigen, die nicht die Besten sind, sind nicht besonders erfreut darüber, wenn das publik wird, wenn es also eine Transparenz im Wettbewerb gibt, die deutlich macht, wer oben steht, wer in der Mitte steht und wer in den Leistungen weiter unten steht. Trotzdem, wir versprechen uns von Dezentralisation eine größere Kreativität und damit auch eine größere Fähigkeit der Problemlösung.

In diesen Zusammenhang gehören die Versuche, die ja vor allen Dingen auch vom Kollegen Hardraht immer weiter getrieben werden, nämlich im Bereich der Funktionalreform und an anderer Stelle Organisationsformen zu entwickeln. Dass das nicht bedeuten kann, dass wir nun gewissermaßen eine neue Autonomieebene ohne externe Kontrolle einrichten, ist selbstverständlich. Aber die externe Kontrolle ist eben keine Kontrolle mehr im Sinne der Angabe des Inhalts jeder einzelnen Entscheidung, sondern eher eine Prozesskontrolle und eine rechtliche Kontrolle. Die ist im Übrigen in jeder Dezentralisation erforderlich, insbesondere dann, wenn es sich um öffentliche Aufgaben handelt, deren Lösung man nicht ohne Weiteres dem Wettbewerb überlassen kann.

Ich möchte zu einem anderen Punkt kommen, der uns in den nächsten zehn Jahren auf der kommunalen Ebene beschäftigen wird und von dem ich mir wünsche, dass sich sowohl die Kommunalverbände, die ja hier vertreten sind, aber auch die Landkreise intensiv damit befassen, und zwar auch systematisch, nicht nur im Sinne von Erfahrung sammeln: Das sind die Folgen der demographischen Entwicklung. Mir ist es nach wie vor unbegreiflich, wie es möglich ist, dass wir in Deutschland die Folgen der demographischen Entwicklung so wenig in unsere strategischen Überlegungen aufnehmen, wie das bisher der Fall ist. Es ist absehbar, was passiert, es ist fast berechenbar. Das Statistische Landesamt liefert uns Bevölkerungsprognosen bis zum Jahr 2040. Sie können sagen, dass das nicht auf die Zahl nach dem Komma stimmt - natürlich nicht. Aber es ist ein Korridor der Wahrscheinlichkeit, der in beide Richtungen nicht beliebig veränderbar ist, sondern der weit gehend festliegt. Und wenn wir davon ausgehen, dass sich das Geburtenverhalten bzw. das Verhalten derer, die Kinder haben können, nicht dramatisch verändert, also plötzlich die Vielkinderfamilie wieder spontan als das eigentliche Ziel der Familiengründung angesehen wird, dann haben wir auch eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich das so genannte Reproduktionsverhalten der Bevölkerung in den nächsten fünf bis zehn Jahren vollziehen wird. Im Übrigen, selbst wenn die heute noch jungen Leute dann mehr Kinder haben, sind es sehr viel weniger junge Leute. Also, das "schon mehr Kinder haben" bedeutet den gegenwärtigen Geburtenstand zu halten. Nun brauche ich ihnen nicht zu sagen, was diese demographische Entwicklung auf der kommunalen Ebene bedeutet. Im Bereich der Schulnetzplanung haben wir das alles schon gelernt. Es bedeutet weniger Kinder, selbst bei besserer Schüler-Lehrer-Relation, weniger Schulen, vor allen Dingen außerhalb der Ballungszentren, größere Schulwege, Auseinandersetzungen zwischen kleineren und mittleren Gemeinden über die Frage, wo die Mittelschule hinkommt. Wir sind nämlich inzwischen bei der Mittelschule, das heißt, dieser Prozess hat praktisch die Grundschule schon durchlaufen oder ist gerade dabei. Im Jahre 2003/2004 sind wir am Tiefpunkt der Entwicklung - in der Hoffnung, dass es dann wieder etwas aufwärts geht. Über die Mittelschule diskutieren die Landräte mit ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und müssen in der Schulnetzplanung die schwierigsten Entscheidungen treffen. Wir müssen zusammen mit der kommunalen Ebene arbeiten, um zu sehen in welchem Umfang wir Flexibilitäten bei der Schüler-Lehrer-Relation haben, um auf diese Weise eine zu starke Ausdünnung des Schulsystems in weniger besiedelten Räumen zu vermeiden. All das sind Aufgaben, die unausweichlich sind, die eine erhebliche politische Anstrengung zur Folge haben, die aber gemeistert werden müssen. Ich hoffe, dass uns das in Zusammenarbeit gelingt.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung, aber auch darüber hinaus, ausgelöst durch die unterschiedlichen Lebensstandards in West- und Ostdeutschland, ist die Abwanderung. Gerade im ländlichen Raum, aber insgesamt in Sachsen, betrachten wir die Möglichkeit, dass junge Leute Sachsen den Rücken kehren und dort hin gehen, wo sie größere Chancen, höhere Einkommen und damit eine aus ihrer Sicht höhere Lebensqualität vermuten, mit Sorge. Ich habe mich immer geweigert, diesen Trend zur Abwanderung von vornherein als ein unausweichliches Unglück zu empfinden und ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen einen Rat zu geben. Der Rat lautet, wenn Ihnen das Einwohnermeldeamt meldet, dass ein junger Mann oder eine junge Frau weggezogen ist, bleiben Sie mit ihr oder mit ihm in Verbindung. Versuchen Sie, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Sagen Sie nicht zu sich oder zu anderen, wir haben wieder jemanden verloren, sondern sagen Sie zu sich und zu anderen, sie werden auch wiederkommen, wenn wir sie brauchen. Wir müssen nur wissen, wo sie sind und wir müssen ihnen deutlich machen, dass sie nach wie vor zu uns gehören.

Ich will Ihnen hier einfach einmal die Erfahrungen amerikanischer Universitäten vermitteln. Die großen amerikanischen Universitäten haben seit Jahrzehnten in den ganzen Vereinigten Staaten, aber auch außerhalb Vereine, in denen sich die Ehemaligen der Universitäten finden. Ich gehöre zum Beispiel einem solchen Verein an, nachdem ich vor 51 Jahren ein College in Amerika besucht habe. Ich bekomme immer noch jährlich zweimal Briefe von diesem College, in denen mir berichtet wird, was dort passiert, welche Probleme, Pläne und Aussichten man hat und in denen natürlich auch gefragt wird, ob man das eine oder andere unterstützen kann. Große amerikanische Universitäten beziehen einen nicht unwesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Unterstützung aus solchen Vereinen. Warum soll es nicht möglich sein das für uns auch zu machen. Wir werden in wenigen Jahren - wie teilweise heute schon - Facharbeitermangel haben. Wir werden in wenigen Jahren in ganz Deutschland und Europa in einem Wettbewerb um junge Menschen stehen. Wer sich für diesen Wettbewerb nicht vernünftig positioniert, der wird Nachteile haben. Also muss man sich positionieren. Und da kann man sich etwas einfallen lassen. Das ist ein Bereich, wo man ohne all zu große Kosten große Innovations- und Initiativleistungen erbringen kann. Und ich empfehle, dass wir das tun.